Lyrik

Lyrik

Auszüge aus über 400 Texten.
Gedanken, die Beobachtungen, Erlebtes und Träume widerspiegeln.
Erschienen in den Büchern von Martin Lammerhuber, "ZeitT!RAUM … am roten Faden!" und
"ZE!Timpulse … durch das Jahr!" (Kral Verlag, 2011 und 2012; www.kral-verlag.at, office@kral-verlag.at)


ZEIT-WORT

Wort Zeit
Zeitwort
Zeit und Wort

Zeit, aber nicht Zeitwort,
sondern
Hauptwort

Haupt-Zeit-Wort
ein Wort voll Haupt und Zeit
Haupt Sache Zeit

das Wort der Zeit

Zeit

Wo ist Zeit?
Wer hat Zeit?
Was machen wir aus der Zeit?

Zeitwort

mehr
als
Wort

Zeit

Foto: Erich Marschik
Foto: Erich Marschik

 

ZEIT ZEUGEN

Gehet hin und vermehret euch

macht
aus
euren

Sekunden Minuten
aus Minuten Stunden
aus Stunden Tage
aus Tagen Wochen
aus Wochen Monate
aus Monaten Jahre

mit den Jahren
habt ihr hoffentlich
gelernt
ein ganzes Leben
zu leben!


ZEIT AM STÜCK

Vor lauter
zerstückelter
zerbröselter
zerronnener
Zeit
weiß
er überhaupt
nicht mehr,
wie
sich eine lange Zeit
am Stück
anfühlt.


ZEIT ZUM NACHSICKERN

Keiner hat MEHR Zeit!

Richtig!

Keiner hat mehr Zeit.

Falsch!


JAHR

Auch das neue
Jahr
verjährt,
so
wie die
vergangenen
Jahre.

Jahr ein!

Jahr aus!


LUSTBRINGENDE ZEIT

Das verloren Geglaubte
beim
gedanken-
verlorenen
Dasitzen
im
Vorbeifliegen
in Sekundenschnelle
auffangen

um
als
Lebenslust
bringendes
Geheimnis
tief
und
glücklichmachend,
nie
mehr
missen
wollendes
Ganzes

ganz
einfach
für
immer
da
zu
sein.


JETZT!

Ein

Windstoß
Gedanke
Sonnenstrahl
Blitz
Gefühl
Augenzwinkern
Wort
Hauch
Lachen
Funke

jetzt

ein

Riechen
Prickeln
Spüren
Begehren
Wühlen
Öffnen
Beseelen

jetzt

flugs vorbei
kommt nie wieder

halt
gut
fest

jetzt!


SPIEGELZEIT

Wie oft steht man vor dem Spiegel und richtet sich her.

Letztes Mal ist er wieder davorgestanden und hat sich gedacht,
dass er gerade dabei ist,

sich selbst herzurichten!

Es ist an der Zeit, der eitlen Oberfläche mit
jener Selbsterkenntnis zu begegnen,

dass man beim demütigen Niederknien aufrechter dasteht,
als im vollen Spiegelbild.


FASTFOODZEIT

„Schnell, easy, schmackhaft,
in 8 Minuten ist alles fix und fertig am Tisch.
Mikrowelle und Frostyman
sind Ihr täglicher Begleiter!“
Trommelt es aus dem TV!

Eine coole Branche kennt keine Krise.

Immer alles schnell am Teller.
Aber trotzdem keine Zeit!


STAPELZEIT

Die ausgefüllten Jahreskalender der Betriebsamkeit
stapeln sich übereinander.

Einer nach dem anderen
und zum Jahresende kommt der nächste schon wieder dazu.

An welchen Termin kann ich mich erinnern?

War es die Zeit wert?


HÖCHSTE ZEIT

Wenn
die
Arbeitszeit

den Verstand beherrscht,
das Gefühl verzehrt,
das Herz belügt,
den Bauch besticht,
die Nase beleidigt,
den Atem nimmt,
den Hals zuschnürt,
den Rücken belastet,
die Arme beschwert,

dann ist es
höchste Zeit,
auf einen Berg zu steigen,

das Weite zu suchen

und in aller Gelassenheit
die Arbeit
von
oben

genau
anzusehen!


EIGENSINNIGE ZEIT

Welch‘ missverstandenes
Wort!

Wer
egoistisch
den
eigenen
Sinn
nicht
bei
sich
sucht,

kann
auch
den
Sinn

nicht

im
Anderen
finden.


GARANTIEZEIT

Vertrauen
Sie
nicht
auf den
Garantieschein,

denn
die
Garantiezeit
ist
keine
garantierte
Zeit.

Verlängern
und
umtauschen
unmöglich

unter
Garantie.


ZEITBANK

Neulich bekam er einen Anruf
von seinem Zeitberater,
dass er dringend zur Zeitbank kommen sollte.

Da der Zeitrahmen schon länger ausgeschöpft war,
wurde ihm sein Zeitkonto gesperrt.

Kein Zeitguthaben mehr auf der Kante
und das Zeitsparbuch kannte er nur
aus den Tagen, wo er Zeitgewinne in Zeitersparnisse anlegte.

Da er alleine nicht mehr in der Lage war,
aus diesem angespannten Zeitloch rauszukommen,
blieb nur mehr der Weg zum Zeitausgleich
mit der Auflage, einen Budgetzeitplan vorzulegen.


ERSCHÖPFTE ZEIT

Oft ist er so vollgepackt und angefüllt,
dass er vor Erschöpfung nicht mehr gerade denken kann.

Verzweifelt,
am Ende,
möchte leben,
möchte raus,
nichts als Ruhe,
denn die Flucht ist anstrengend,
erschöpft vom ewigen Davonrennen,
erschöpft vom falschen Ich!


SANDUHR

Sie hat sich mit der Zeit aufgerieben
und ist schon ganz am Sand.

Ich stell sie auf den Kopf,
damit wieder Sand ins Getriebe kommt
und sie uns vor Augen führt,
wie die Zeit verrinnt.


ZEITDIEBE

Man braucht ihnen nicht nachzulaufen.
Sie sitzen ganz einfach da,
rühren sich nicht von der Stelle,
erzählen meistens dasselbe
und glauben immer,
dass sie Recht haben.


ZEITVERSCHÄRFUNG

Wenn der Zeitgejagte zum Zeitdieb sagt,
dass er doch alles in ein Mail zusammenfassen soll,
dann legt er damit seine eigene Höchst-Zeitstrafe mit dem
Verdoppeln des Zeitdrucks fest.

Phase 1: auf Mailbox:
„Ich hab Ihnen vor drei Stunden ein Mail geschickt …
haben Sie es schon anschauen können?!“

Phase 2: per Mail:
„Anbei schick ich nochmals die Zusammenfassung unseres
Gesprächs, falls es nicht angekommen ist …“

Phase 3: Anruf bei Sekretärin:
„Ich habe Ihrem Chef ein Mail geschickt …“

Phase 4: Sekretärin zu Chef:
„… wir sollten doch dem Herrn Lästig … bitte zurückschreiben.
Er hat schon am Telefon urgiert.“

Phase 5: Chef diktiert:
„Sehr geehrter Herr! Danke für Ihre detaillierte Anfrage.
Ich muss Ihnen leider eine Absage erteilen. Wir können Ihr
Ansinnen aus Zeitgründen leider nicht erfüllen. MfG.“


ZEITFINGER

Wenn ich Zeit hab,
dann hab ich auf einmal die Zeit
über die Zeit nachzudenken,
obwohl ich eigentlich
nicht über die Zeit nachdenken möchte,
um mich zu fragen,
was ich mit meiner Zeit
auf einmal anfangen könnte.

Wenn ich gescheit bin,
dann nehme ich diese neue Zeiterfahrung an,
indem ich mich jetzt auf den großen Zeitzeiger setze,
die Runden mitdrehe,
die Leichtigkeit des Seins spüre
und allen scheinbar wichtigen Verpflichtungen
nicht den Zeigefinger,
sondern den Finger daneben zeige!


ZEITIRRER

Völlig aufgezogen,
rastlos,
sich verrennen und verirren,
bis die Selbstverständlichkeit
diesen
Irrsinn
zur Gewohnheit
macht.


ZEIT(GE)WICHTE

Wie unwichtig sind doch diese jämmerlichen Wichtigkeiten
von scheinbar wichtigen Menschen,

die glauben,

mit den in bombigen Zeitgewichten verpackten
gewichtigen Argumenten

mit noch mehr Gewicht,
diese jederzeit und gedankenlos per E-Mail abwerfen zu müssen.

Da lob ich mir die scheinbaren Leichtgewichte,
die Wichtigeres damit gewichten.


… NICHT SPÄTER!

Reden ist nicht nachreden,
plaudern ist nicht verplaudern,
sprechen ist nicht versprechen,
hören ist nicht weghören,
urteilen ist nicht verurteilen,
jetzt ist nicht später.


RUHEZEIT

Deckel auf und zu,
drehen und wenden,
Seite um Seite.

Verstaubtes entstauben,
Vergilbtes entziffern,
Stichhaltiges festhalten.

Worte klauben,
wieder und wieder
drüberlesen,
auf der Suche nach mehr.

Flüchtige Gedanken und
anfangen in der Tiefe
meiner Selbst zu blättern.

Aber wo nur bitte steht
das eine Wort:
Ruhe?


ÜBERTAUCHTE ZEIT

Einmal wieder,

betrunken Stock

müde Hunds

sucht Sehn

schlafen ein

ruhen aus

fertig und fix

sein muss

Zeit keine

schlafen zum

Wieder einmal die müde Zeit
mit Arbeit betäubt

Voll sinn nicht.


TEILZEIT

An einer Hand konnten sie ihre
freien Tage abzählen,

aber trotzdem hatten sie noch den Mut,
die wenige Zeit miteinander zu teilen.

Als beide ihre Finger immer und immer wieder zusammenlegten,
reichten ihre Hände nicht aus,

um ihre gemeinsame Zeit
auf einmal zu begreifen.

Aus einer zeitarmen wurde
eine bereichernde Zeit!


EINGEBETTETE (GEBETS)ZEIT

Wohlig
ausgeglichen
umhüllt
gebettet

ohne dass die Gedanken im Kreis laufen

und liegend
aufrecht
einen Kopfstand
machen
lassen.

So möcht‘ ich wieder einschlafen,
mit dir, mein Schutzengel!

Danke für den Tag
und beschütze all‘ meine Lieben.


ZEIT ZURÜCK

Er stürmte im engen, dunklen Zeitkorsett in die Zeitbank,
zeigte stumm auf den langen Schatten der Sonnenuhr,
nahm seine Zeitmaske runter
und brüllte dann ganz laut in den Kundenraum den Satz,
auf den alle schon sehnsüchtigst gewartet hatten:

Beine hoch und Zeit zurück!

Er legte den schweren Zeitrucksack auf den Schalter,
schüttelte schweigend all die kleinen Nanosekunden, Sekunden, Minuten
und scheinbaren Stunden heraus und überbrachte somit die geraubte Zeit.

Einmal im Jahr,
pünktlich zum Weltzeitspartag,
kommt immer der Zeiträuber,
zahlt alles mit Zinsen zurück
und verspricht Besserung.

Nach einer gemeinsamen Entspannungsphase
gaben alle wieder ihre Beine runter,
richteten sich auf
und gingen glücklich
mit der zurückerstatteten Zeit
nach Hause.


ZEITGESPRÄCH

„Ich habe Zeit“, sagte er,
als sie einander begegneten.

„Das gibt‘s ja nicht,
hast du nichts zu tun?“,
antwortete sie entgeistert.

„Doch, ich rede soeben mit dir“,
erwiderte er lächelnd.


FRÜHLINGSZEIT

Ich pflück dir einen Strauß
mit vielen mir lieben Wiesenblumen

Margariten
Steinnelken
Glockenblumen
Hahnenfuß
Wiesensalbei
Schlüsselblumen

dazwischen
viele
Gräser.

Alles dabei,
aber eigentlich wollte ich dir
einen Bund
Vergiss-mein-nicht
schenken!


HIMMELSZEIT

„Verschieb mir die Wolken bitte“, sagte die liebe Frau
und verabschiedete sich damit auf ihre persönliche Art und Weise.

Sanft lächelnd fügte sie noch
„und ab die Post“ hinzu.

Als sie den Himmel berührte,
sah nur sie ganz alleine
oberhalb der Wolkendecke
den strahlend blauen Himmel

und die reißverschlussähnlichen, glitzernden Streifen,
die dem Flieger am Weg zur Sonne folgten.


WAS IST WIRKLICH WICHTIG?

Dasitzen,
reden,
daneben schnell telefonieren,
wieder abheben,
gleichzeitig Termine ausmachen,
SMS beantworten,
weiterreden,
Leute an der Tür vertrösten,
wissen, dass man eigentlich schon woanders sein sollte,
Handy abdrehen,
mit den Gedanken ganz woanders.

„Darf ich kurz stören?“,
ein zaghafter Blick einer schmächtigen Besucherin
unterbricht jäh diesen Irrsinn.

„Kommen Sie rein. Erzählen Sie mir, wie geht es Ihnen?“

„Besser. Der Tumor ist kleiner geworden.“


DAS SCHÖNSTE KOMPLIMENT

Gemeinsam drehen wir im Gleichklang die Runden,
halten an die Zeit,

um uns dann liebevoll zu sagen,
dass wir uns auf den Wecker gehen.



STERNENZEIT

Mit einem Gläschen am Balkon sitzen
den Himmel voller Sterne
umarmen
und die bodenlosen
Kleinigkeiten auf den
Mond schießen.

Das ist das
Wunder
Zeit.


* Sofern nicht anders angegeben stammen die Fotos von Martin Lammerhuber.